Familie Gembitz

Antonienstraße 14

Von 1929 bis 1939 lebte in der Antonien-straße 14 die Familie Gembitz. Nach den antisemitischen Pogromen vom 09.-11. November 1938 entschlossen sich Max, Martha und Heinz Leipzig endgültig zu verlassen. Ihr Ziel war es nach Kolumbien zu gelangen, wohin Max‘ Bruder Alfred bereits 1935 aus Leipzig emigriert war. Im Mai 1939 konnten sie Deutschland Richtung Kuba verlassen. Es folgte eine fast einjährige Odyssee über Kuba, Holland und Frankreich bis sie im Februar 1940 endlich in Kolumbien ankommen sollten. Der folgende Text basiert vor allem auf einem Lebensbericht den Heinz Gembitz, der einzige Sohn von Max und Martha, wahrscheinlich in den 1980er Jahren in Israel verfasste.

Von Polen nach Leipzig

Aufbau einer Existenz

Ausgrenzung und Unsicherheit

Die Einschläge kommen näher

Heinz dagegen begann eine Ausbildung an der Bertholdschen Unterrichtsanstalt in der Salomonstraße in der Leipziger Innenstadt. Danach lernte er bei dem jüdischen Handwerker Michael Baschis im Waldstraßenviertel das Handwerk des Installateurs. Dort blieb er bis März 1938. Danach ging er nach Berlin um an einer Privatschule Maschinen- und Elektrotechnik zu studieren. Er wohnte bei seiner Tante Frida Gimkiewicz. Sie war die Schwägerin seiner Mutter Martha. Ihr Mann war Gerneraldirektor des immer noch existierenden Logistik Konzerns Schenker&Co gewesen, bevor er 1935 an einer Malaria-Erkrankung , die er sich im Ersten Weltkrieg zugezogen hatte und die wieder ausgebrochen war, starb. Weil er Jude war, war er 1933 gezwungen worden, seinen Posten aufzugeben. Seine Arbeit für den Konzern war jedoch so wichtig, dass er nachts heimlich an seinen Arbeitsplatz gebracht wurde, um weiter für den Konzern tätig zu sein.

In der Nacht des 9. / 10. Oktober 1938 brach eine Welle der Gewalt und Zerstörung über die deutschen Jüdinnen und Juden herein. Heinz Gembitz war zu diesem Zeitpunkt in Berlin. Er lebte bei seiner Tante Frida, die ein großes Haus in der Nähe des Kurfürstendamms bewohnte. Im Haus wohnten neben den beiden Cousins Lothar und Werner-Adolf noch weitere jüdische Mieter:innen. Werner-Adolf war wie Heinz Gembitz 17 Jahre alt. Der zwei Jahre jüngere Lothar Giemkiewicz wurde als hochintelligent beschrieben. Trotzdem er ein notorischer Schulschwänzer war, schrieb er Bestnoten und war ein gefürchteter Schachspieler, der es auch mit professionellen Spielern aufnahm.

Noch einmal Davon gekommen

Das Haus von Heinz‘ Tante in Berlin war in der Pogromnacht zwar von dem wütenden Mob verschont geblieben, allerdings nicht von der Gestapo. Am 10.11.1938 klopfte es an der Tür des Hauses in der Württembergischen Straße. Ein zivil gekleideter Gestapo-Mann wollte einen weiteren jüdischen Mieter, der ebenfalls im Haus wohnte, abholen. Als er diesen nicht antraf und seine Frau behauptete, sie wisse nicht wo er sei, drohte der Gestapo-Mann Heinz und seine Cousins Lothar und Werner-Adolf zu erschießen. Zwar ist davon auszugehen, dass dies eine leere Drohung war, doch im Lichte der Geschehnisse der vergangen Nacht, mussten die Anwesenden alles für möglich halten. Als die Frau des Gesuchten schließlich sagte, ihr Mann wäre in einer Stunde wieder da, setzte sich der Eindringling und wartete zusammen mit den drei Jungen. Trotz der bedrohlichen Situation, schildert Heinz das folgende Gespräch als freundlich. Der überzeugte Nationalsozialist sprach mit den Jungen über das Judentum, laut Heinz Gembitz „demonstrierte [ er dabei ] Kenntnisse, die über unser Wissen über das Judentum hinausgingen.“

Als der gesuchte Mieter rund eine Stunde später dann wirklich in der Tür stand, wurde er sofort verhaftet. Ein Fluchtversuch wurde von seiner eigenen Frau, die große Angst um das Leben der drei Jungen hatte, vereitelt. Glücklicherweise konnte sich ihr Ehemann, durch den Nachweis einer chronischen Krankheit, nach kurzer Zeit wieder aus den Fängen der Gestapo befreien, er kehrte noch am selben Abend in das Haus zurück. Heinz Gembitz wurde von seiner Tante Frida zurück nach Leipzig geschickt. Seine Ausbildung konnte er sowieso nicht fortsetzen. Das gesamte Lehrerkollegium seiner Schule, das sich ausschließlich aus aus dem Staatsdienst entlassenen jüdischen Lehrer:innen zusammensetzte, war verhaftet worden.

Die Bahnfahrt nach Hause war nicht ungefährlich, der Leipziger Hauptbahnhof war „voller Gestapo-Leute die nach Juden suchten“. Er entwischte den Häschern der Nazis, aber die Gefahr war noch lange nicht gebannt. Zuhause in Kleinzschocher angekommen, fand er seine Eltern nicht vor. Er entschied sich bei seinem Freund Hans im Haus gegenüber die Nacht zu verbringen. Hans‘ Vater war bereits verhaftet. Am nächsten Morgen wurde Heinz Gembitz von seinem Freund geweckt, SS-Männer standen vor der Tür der Familie Gembitz, doch dort war glücklicherweise niemand zu Hause.

Im Laufe des Tages meldeten sich Heinz‘ Eltern bei der Familie Schlesinger. Max, Martha und Heinz entschieden, zurück nach Berlin zu fahren und sich dort zu verstecken, bis sich die Lage wieder beruhigen sollte.

Flucht ins Ungewisse

Zunächst jedoch musste die Reise vorbereitet werden. Unter der Aufsicht von Beamten mussten sie ihre Habseligkeiten in Koffer verpacken, die dann von eben jenen versiegelt wurden. Über den Inhalt der Kisten und Koffer wurde penibel Buch geführt. Einer der Beamten hatte jedoch Mitleid mit der Familie, er drückte beim Packen beide Augen zu und nahm mehrere Gegenstände nicht in die Listen auf. Kurz vor der Abreise wurden sie noch von einer ehemaligen nicht-jüdischen Freundin besucht, ein Abschied unter Tränen, der auch für die Freundin sehr unangenehme Konsequenzen bedeuten hätte können. Dann brach die Familie nach Hamburg auf.

Die Irrfahrt der St. Louis

Ausreise in LetzTer Sekunde

Heinz drängte seine Eltern die Ausreise nach Kolumbien voranzutreiben. Seine Mutter Martha, die sich im Gegensatz zu Heinz und Max weiter frei bewegen durfte, fuhr nach Paris um die Visa, die mittlerweile dorthin geschickt worden waren, abzuholen und die Reise vorzubereiten. Sechs Monate später war es soweit. Am 13.01.1940 verließ die Familie mit einem Frachtschiff Frankreich. Laut Heinz Gembitz, war es eines der letzten Schiffe das Frankreich verließ. Zuerst ging es Richtung England. Die Reise war jedoch ein gefährliches Unterfangen. Deutsche U-Boote und Magnetminen stellten eine tödliche Gefahr da. Das Schiff reiste in einem Konvoi, der von Kriegsschiffen und und Flugzeugen begleitet wurde. Die Überfahrt dauerte fast einen Monat. Am 12.Februar 1940 erreichte die Familie endlich das sichere Kolumbien.

Quellen:

  1. Lebensbericht von Heinz Gembitz, ca. 1983, Privatarchiv Familie Kidron, Israel. ↩︎
  2. Leipziger Adressbuch von 1923
    https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/97795/304  ↩︎
  3. LBI Archives (AR 10628),MF 968 Reels 1-10 ,Guembel Family Collection, 1829-1998 (bulk 1930s-1990s.) ↩︎
  4. Lebensbericht von Heinz Gembitz, ca. 1983, Privatarchiv Familie Kidron, Israel.  ↩︎
  5. ebd. ↩︎
  6. ebd. ↩︎
  7. ITS Digital Archive, Arolsen Archives
    Dokumente mit Namen ab GEISSLER, Karl, Dachau, 1.1.6/01010607 087/ ITS Digital Archive ↩︎
  8. Nacham Andreas (Hrsg) 2008 Es brennt! Antijüdischer Terror im November 1938, Austellungskatalog , Stiftung Denkmal der ermordeten europäischen Juden, Berlin S.123 ↩︎
  9. Lebensbericht von Heinz Gembitz, ca. 1983, Privatarchiv Familie Kidron ↩︎
  10. St. Louis Passengers, JDC Archives, Collection 1933-1944, file 384 ↩︎
  11. NY_AR3344_00083,JDC Archives, Collection 1933-1944, file 384 ↩︎
  12. https://original-ufdc.uflib.ufl.edu/AA00039770/00006/10x ↩︎
  13. https://www.juedisches-leben-muenster.de/friedhofsplan-suche/ ↩︎
  14. Welle 42 – 28. Osttransport in das KL Auschwitz, 03.02.1943, Berne/ 1.2.1.1 Deportationen / Deportationen aus dem Gestapobereich Berlin /127212204// ITS Digital Archive, Arolsen Archives ↩︎
  15. https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1055983 ↩︎
  16. https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1055810 ↩︎