Kurt Kresse und der VfL Fichte West

Am 07. Juni 1933 verhaftete die Polizei in der Ernst-Mey-Straße 14 in Plagwitz den Kommunisten Kurt Kresse. Die Polizei war auf der Suche nach dem Vereinsvermögen des Vereins für Leibesübungen Fichte West. Als marxistisch geprägter Verein war er bereits am 24.03.1933 verboten worden. Der Verein mit bis zu 1000 Mitgliedern wurde von Mitgliedern verschiedener Sportvereine aus dem Leipziger Südwesten gegründet. Sportler:innen aus dem SV Normannia Großzschocher, dem TSV Schleusig, dem VfK Südwest-Leipzig (heute FC Blau-Weiß) und der Sportvereinigung Schönau fanden sich zwischen 1928 und 1930 bei der Fichte West zusammen, da sie aus den bürgerlich oder sozialdemokratisch geprägten Vereinen ausgeschlossen wurden bzw. dort nicht mehr ihre politische Heimat fanden.

Sport und Politik in der Weimarer REpbulik

In der Weimarer Republik war das Sporttreiben oftmals eng verknüpft mit politischen Ansichten oder Idealen. Schon die Turnerbewegung, die Anfang des 19. Jahrhunderts vom sogenannten Turnvater Jahn gegründet worden war, hatte als Ziel nicht nur die Ertüchtigung des Leibes und die Förderung der Gesundheit. Eigentlicher Zweck war die nationalistische Willensbildung und die Einübung paramilitärischer Praktiken. Juden war die Teilnahme an der damals noch sehr kleinen Sportgruppe verboten. Natürlich stand später vor allem der Massensport im Vordergrund. Die zahlreichen antisemitischen und extrem nationalistischen Äußerungen des großen Idol der Turnerbewegung, die in Briefen und Reden überliefert wurden, machten den Weg frei, die körperliche Ertüchtigung mit einem extremen Leistungsgedanken, Abwertung gesellschaftlicher Gruppen und Hass auf Juden zu verbinden. Im Deutschen Kaiserreich wurden um 1870 auch zahlreiche sozialistisch eingestellte Sportler:innen aus den Turnvereinen ausgeschlossen.

Die Bundesschule des Arbeiter Turn- und Sportbund in der Leipziger Südvorstadt im Jahr 19261

Als Reaktion darauf wurde 1893 in Gera der Arbeiter – Turnbund gegründet. Dieser war zunächst nicht zwingen von linken oder sozialistischen Gedanken geprägt. Erst nach Ende des Ersten Weltkriegs bekannte sich der nunmehr in Arbeiter Turn und Sport Bund (ASTB) umbenannte Verein zu den Zielen des Sozialismus. Über den Weg wie der Sozialismus erreicht werden sollte, war man sich jedoch uneins. Dies führte 1928 dazu, dass der sozialdemokratisch geprägte Sportbund beschloss Sportler:innen die sich positiv auf die Sowjetunion und den Kommunismus bezogen aus den Mannschaften die im ATSB organisiert waren auszuschließen. Die Folge war, wie oben erwähnt, der Ausschluss vieler Sportler:innen aus ihren Vereinen.

Die Fußball Mannschaft des kommunistischen Sportvereins VfL Fichte West um 19322

Spaltung des Arbeitersports

Über das Gründungsjahr der Fichte West gibt es in den Quellen unterschiedliche Angaben. Erinnerungsberichte nennen das Jahr 1928, in Polizeiakten findet sich das Jahr 1929 und in einer 1978 erschienen Biographie über Kurt Kresse wird das Jahr 1930 genannt. Der Verein konnte sich über einen regen Zulauf freuen, 1933 hatte er zwischen 950 und 1500 Mitglieder. Nach der Fusion mit der Sportvereinigung Schönau, die sich ebenfalls aus kommunistisch geprägten Sportler:innen zusammensetzte, verfügte der Verein auch über einen eigenen Sportplatz. Dieser befand sich auf einer Brachfläche an der Lützner Straße auf Höhe der Alten Salzstraße. Für den Hallensport wurden die Turnhallen der Schulen in Kleinzschocher genutzt. Die Mitglieder des Vereins waren aber auch politisch aktiv. Auf dem Sportplatz fanden Veranstaltungen der Roten Hilfe und des Rotfrontkämpfer Bund statt. Die Mitglieder beteiligten sich an Demonstrationen und hatten einen eignen Spielmannszug bei diesen Anlässen zum Einsatz kam.

Der Spielmannszug des VfL Fichte West bei einer Demonstration in den 1930er Jahren.3

Der Vorsitzende des Vereins Kurt Kresse, aufgewachsen in den Meyerschen Häusern, war seit seinem 15. Lebensjahr in sozialistischen Gruppen aktiv aktiv. Damals gründete er die Freie Sozialistische Arbeiterjugend in Großzschocher. Gut zwei Jahre leitete er die Gruppe bevor er mit einem Großteil der Mitglieder zum Kommunistischen Jugendverein Deutschland wechselte. Nach Abschluss seiner Lehre als Buchdrucker, arbeitete er für eine Zeit als Bergarbeiter in Meuselwitz und im Ruhrgebiet. In dieser Zeit trat er in die KPD ein. Zurück in Leipzig bekam er nach einiger Zeit eine Stelle als Drucker in der Druckerei der KPD, die die Sächsische Arbeiterzeitung produzierte. Kresse wurde als umsichtiger und vor allem charismatische Führungsfigur beschrieben. Für seine Überzeugungen war er bereit vieles zu erdulden.

Die Freie Sozialistische Arbeiterjugend Kleinzschocher. Kurt Kresse mit Brille links in der ersten Reihe.4

Sport in der Illegalität

Als die Polizei die Fichte West, wie der Verein genannt wurde auflösen wollte und das Eigentum sowie Kasse nebst Mitgliederlisten beschlagnahmen wollte, fanden sie bis auf ein paar Einrichtungsgegenstände im Vereinsheim an der alten Salzstraße nichts mehr vor. Die Polizei hatte kaum Anhaltspunkte, neben Kurt Kresse waren d lediglich drei weitere aktive Mitglieder bekannt. Der Lindenauer Paul Kermes, der Turnwart Otto Haupt, der in der Altranstädter Str. 19 wohnte und seine Anschrift auch als Postadresse für den Verein zur Verfügung stellte, und Willy Schuhmann, den die Polizei als Kassenwart des Vereins identifizierte. Als Schuhmann in seiner Wohnung in der Hirzelstraße 31 verhört wurde, gab er an seine Schwiegermutter hätte im März 1933 sämtliche Unterlagen des Vereins, aus Angst vor Repression durch SA und Polizei, verbrannt. Ob diese Behauptung der Wahrheit entspricht, lässt sich nicht nachprüfen. Belegt ist jedoch, dass es zu diesem Zeitpunkt in Zschocher immer wieder großräumig angelegte Razzien gab, bei der flächendeckend Wohnungen durchsucht wurden. Eine der größten Razzien dieser Art fand am 26. März 1933 statt. Aufgrund der fehlenden Unterlagen, war lediglich festzustellen, dass der Verein gute 4600 Reichsmark Schulden bei der Brauerei Naumann hatte. Sie hatte den Verein mit Bier sowie den nötigen Utensilien und Möbel für den Ausschank versorgt.

Kurt Kresse in den 1930er Jahren5

Frustriert über den Misserfolg ihrer Ermittlungen beschloss die Polizei Kurt Kresse in Schutzhaft zu nehmen, um so eine Aussage zu erzwingen. Kresse ließ sich jedoch nicht einschüchtern. Aus einem Bericht der Polizei geht hervor, dass Kresse die Beamten in der Untersuchungshaftanstalt ordentlich auf Trab hielt.

Da Kresse sich in Schutzhaft allen Anordnungen des Wachhabenden wiedersetzt und durch sein Verhalten die anderen Häftlinge aufgehetzt und aufgewiegelt hat, ist es notwendig über Kresse Einzelhaft zu verhängen.

Polizeiwachtmeister Leipzig, 1933

Kurz darauf wurde er in das Konzentrationslager Colditz überstellt. Das von der SA und SS bewachte Konzentrationslager war ein Ort grenzenloser Gewalt und Willkür. Gleich nach der Ankunft wurden die Häftlinge in einem demütigenden Ritual brutal verprügelt. In dem ehemaligen Schloss befand sich eine Wendeltreppe. Dort wurden die Häftlinge hinauf gejagt und bekamen auf jeder Stufe von einem dort postierten SA Mann einen Schlag mit dem Gummiknüppel verpasst. Immer wieder wurden einzelne Inhaftierte herausgegriffen und im Keller des Schlosses gefoltert, die Schmerzensschrei waren für alle anderen gut vernehmbar.

Einweihung des Sportplatzes der Fichte West an der Lützner Straße 19326

Anfang Juli 1933 wurde Kresse aus dem Konzentrationslager entlassen, weitere Aussagen über den Verein die anderen Mitglieder und das Vermögen konnten ihm nicht abgepresst werden. Den Sportplatz in Schönau hatte mittlerweile die SA übernommen. Die Fichte West war jedoch noch nicht verschwunden. Unter dem Tarnnamen „Turnring“ wurde ein neuer Verein gegründet. Als Vorstand fungierte u.a. ein SA Mann, den die Mitglieder angeblich umgepolt, sprich für ihre kommunistischen Ideale begeistert hatten. Die Gruppe traf sich vor allem im Gasthof zum Reichsverweser, dort wurde vor allem Gymnastik betrieben. Sogar öffentliche Vorführungen wurden veranstaltet.Der Verein zählte bis zu 300 Mitglieder, die unter anderem auch gemeinsame Ausflüge organisierten. Zwar waren die Turnenden auch hier Übergriffen von SA-Männern ausgesetzt es gelang jedoch nicht die Gruppe, die vor allem aus Mitglieder der Vereinsjugend bestand, zu enttarnen. Alfred Teubner, eine Gründungsmitglied der Fichte West, schilderte in einem Erinnerungsbericht:

Im Reichsverweser hatten wir ein Bühnen-Schauturnen hinterher mit Tanz veranstaltet. In der elften Stunde wurden wir plötzlich von SA-Banditen überfallen. Ich hatte die Tanzkasse und die Einrtittskasse in den Händen, konnte mich schnell mit diesem Geld in Sicherheit bringen und kam nicht in die Klauen dieser Banditen. Ich habe dieses Geld und vieles andere mehr als materille Unterstützung unseren eingesperrten Genossen zukommen lassen.

Alfred Teubner, 1965 (Rechtschreibung im Original)

Für die Mitglieder waren solche Treffen eine Möglichkeit wieder ein Gruppengefühl zu entwickeln, sich auszutauschen und die politische Lage zu diskutieren. Mit dem gesammelten Geld wurden Genoss:innen, die sich in den Händen der Nazi-Schergen befanden, und ihre Angehörigen unterstützt. Diese Handlungen gaben den Menschen zumindest für kurze Zeit das Gefühl der politischen Situation nicht vollkommen hilflos ausgeliefert zu sein. Spätestens im Sommer 1934 wurde jedoch auch der Turnring aufgelöst. Zunächst als „wilder Verein“ eingestuft wurde er im Zuge der gesellschaftlichen Gleichschaltung aufgelöst. Die Behörden stuften den Verein als zu klein ein. Eine größere Verhaftungswelle bliebe jedoch aus.

Kurt Kresse kämpfte weiter gegen das nationalsozialistische Regieme. Im Januar 1945 wurde er in Dresden zusammen mit Georg Schuhmann und Otto Engert von den Nazis deswegen ermordet.

Protokoll der Hinrichtung von Kurt Kresse7

Quellen:


Soweit nicht anders angegeben:


Kupfer, Thomas, 1988, Die Kampfgemeinschaft für rote Sporteinheit in Leipzig 1933 bis 1935 – Arbeitersportler gegen den Faschismus. Die Kampfgemeinschaft für rote Sporteinheit in Leipzig 1933 bis 1935, Diplomarbeit, Karl-Marx-Universität Leipzig, Sektion Geschichte, Leipzig

Sächsisches Staatsarchiv, StA-L, 21692 SED, Sammlung Erinnerungen, Nr. 116

Matthes, Anneliese und Lothar, 1978 Kurt Kresse – eine biographische Skizze, DEWAG Leipzig

  1. Postkarte, Druckerei Max Breslauer – Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Inv.Nr. PK 93 ↩︎
  2. Fotografie – 1929 – Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Germany – CC BY-NC-SA. ↩︎
  3. Fotografie – 1935 – Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Germany – CC BY-NC-SA. ↩︎
  4. Fotografie – 1935 – Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Germany – CC BY-NC-SA. ↩︎
  5. Fotografie – 1935 – Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Germany ↩︎
  6. Fotografie – 1932 – Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Germany ↩︎
  7. Fotografie – 1935 – Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Germany – CC BY-NC-SA. ↩︎